Über Lübeck 1880
Die Motivation
Bereits seit den 1990er Jahren interessiere ich mich sehr für die Baugeschichte alter Städte im allgemeinen und für die meiner Heimatstadt Lübeck im besonderen. Ich habe nach und nach alles an Literatur verschlungen, was ich zu dem Thema bekommen konnte und mir so einiges Wissen angeeignet. Mich haben dabei insbesondere die alten Fotos und Stadtansichten fasziniert, die mich zugleich fassungslos über das Verlorene und die danach entstandenden Bausünden werden ließen.
Obwohl Lübeck im Vergleich zu vielen anderen Städten noch glimpflich davonkam, sind die Verluste an alter Bausubstanz in vielen Bereichen der Altstadt dennoch enorm. Aus diesem Wissen heraus erwuchs in mir der Wunsch, die Lübecker Altstadt einmal in ihrer alten Pracht erleben und durchwandern zu können. Da die Zeitmaschine aber noch nicht erfunden wurde, keimte schon länger der Gedanke, ein virtuelles Modell zu bauen. Dies ist mit dem heutigen Stand von Hard- und Software nun endlich realisierbar. Deutlich frühere Versuche scheiterten daran kläglich - über ein paar Klötzchen mit einem CAD-Programm kam ich seinerzeit nie hinaus.
Die Anfänge
Im Jahr 2018 wurde ich auf das Projekt "München 1900" von Günther Wolek aufmerksam. Da das meinen Vorstellungen schon sehr nahe kam, nahm ich kurzerhand Kontakt zu ihm auf und erkundigte mich nach seiner Vorgehensweise bei der Erstellung des Modells. Er schrieb mir, dass er mit der Game-Entwickler-Engine "Unity 3D" arbeitete und erklärte sich sofort bereit, mich darin einzuführen, was er dann mit großer Geduld auch tat und es - wie man am Ergebnis sieht - letztendlich auch geschafft hat. Dafür gilt ihm mein aufrichtiger Dank, denn ich war anfangs wohl ziemlich ungeduldig...
Ich arbeite also seit Ende 2018 am Lübeck-1880-Modell und habe in dieser Zeit einen Großteil meiner Freizeit darin investiert - wobei die Corona-Pandemie ab März 2020 auch etwas Gutes hatte, da sie mir deutlich mehr Zeit für das Projekt bescherte, weil ich andere Hobbies lange Zeit nicht mehr ausüben konnte.
Wieso ausgerechnet 1880?
Wie wohl überall in deutschen Städten setzte bald nach der Reichsgründung 1871 auch in Lübeck ein enormer Bauboom ein. Nicht zuletzt erforderten das starke Bevölkerungswachstum und der steigende Wohlstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehr, größere und modernere Wohneinheiten. Da in Lübeck so kurz nach der Aufhebung der Torsperre (1864) die Erschließung der Vorstädte noch in den Anfängen steckte, wurde kurzerhand auch in der noch weitgehend mittelalterlich geprägten Altstadt neu gebaut. Dabei mussten ohne Rücksicht auf Verluste zum Teil bedeutendste alte Kaufmannshäuser und selbst weite Teile der alten gotischen Klöster wilhelminischen Neubauten weichen. Da zugleich die bis dato geltende Begrenzung der Gebäudehöhen aufgeweicht wurde, entstanden oft maßstabssprengende neue Häuser inmitten der kleinteiligen Altstadt. Dieser um 1875 langsam beginnende gründerzeitliche Bauboom nahm nach 1880 erheblich an Fahrt auf. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass ab 1880 mehr mittelalterliche Bausubstanz durch Abrisse verlorenging als beim Bombardement an Palmarum 1942 im Zweiten Weltkrieg. Da um 1880 noch weitestgehend die im Kern mittelalterlichen gotischen Häuser vorhanden waren (wenn auch häufig mit in Renaissance, Barock und Klassizismus überformten Fassaden) und dieser Zustand durch alte Fotos und Zeichnungen erstaunlich gut dokumentiert ist, habe ich diesen Zeitpunkt als letztmöglichen zur Darstellung der alten Stadt für mein Modell gewählt.
Die Betonung möchte ich allerdings auf „um“ 1880 legen. Da sich die Stadt ständig veränderte und alte Fotos oft nicht datiert sind, lässt sich das Modell nicht exakt auf ein genaues Jahr festlegen. Da wurden beispielsweise erste Häuser schon 1875 durch wilhelminische Neubauten ersetzt, während das Rathaus erst ab 1889 zum heutigen Zustand, den ich gebaut habe, renoviert wurde und um 1880 in Teilen nur noch als Ruine dastand (u.a. fehlte die Schaufassade am Marienkirchhof). Ich habe jeweils den am besten dokumentierten Zustand gewählt, so dass das Modell ein klein wenig idealisiert ist, aber dennoch im wesentlichen den Zustand eben „um“ 1880 darstellt. Zudem darf keine Genauigkeit bis auf den letzten Zentimeter erwartet werden. Von einigen Gegebenheiten habe ich Pläne und Zeichnungen, z.B. vom Stadtgrundriss (Katasterplan von ca. 1895, Stadtplan von 1872) inklusive Höhenlinien, dem Rathaus, den Kirchen und den noch existierenden Häusern (Stadtbildaufnahme der Hansestadt Lübeck von 1990). Diese habe ich möglichst exakt darzustellen versucht. Andere Häuser, die nur auf alten Fotos abgebildet sind, lassen sich ohne einen riesigen technischen Aufwand der Entzerrung nicht exakt rekonsturieren, so dass ich diese so genau wie möglich angenähert darstelle.
Die Vorgehensweise
Die Lübecker Altstadtinsel umfasst eine Fläche von ca. 2 Quadratkilometern. Darauf befinden sich neben den großen Gebäuden wie Kirchen, Klöstern, Rathaus und Stadttoren mehrere 1000 Bürgerhäuser verschiedenster Größe und Ausprägung. Da ein solcher Umfang in absehbarer Zeit alleine nicht realisierbar ist, hatte ich als „ersten Bauabschnitt“ den wichtigsten und zugleich am meisten zerstörten Bereich der Altstadt ausgewählt: Das sogenannte Gründungsviertel zwischen Meng- und Holstenstraße und den Marktbereich mit St. Marien und Rathaus. Dazu kam zunächst als erste Erweiterung noch der städtebaulich sehr interessante Bereich um die Kirche St. Petri südwestlich der Markts und dann auch der Bereich rund um das Holstentor, dem Wahrzeichen Lübecks.
Zunächst hatte ich - quasi zum Üben - angefangen, einige Häuser in der Fischstraße zu bauen, da ich hier eine ganz gute Vorlage hatte. Als ich genug geübt hatte, machte ich mich an das Rathaus als erstes größeres Projekt, das ich in knapp 3 Monaten zumindest an der Marktseite fertigstellen konnte. Die Seiten zur Breiten Straße und zum Marienkirchhof existieren allerdings erst im Rohbau. Auch an der Nordseite des Marktes baute ich einige Fassaden fertig, zudem den Kaak und teilweise das Kanzleigebäude und die riesige Marienkirche.
Irgendwann merkte ich aber, dass es mit dieser Methode ewig dauern würde, geschlossene Stadtbilder bzw. Szenen mit Tiefe zum Durchlaufen und Visualisieren zu bekommen. Ich ging dann erst einmal dazu über, größere Straßenabschnitte im „Rohbau“ zu erstellen, d.h. die Straßen fertigzustellen und die Häuser lediglich in ihrer (möglichst exakten) Kubatur zu erstellen, also ohne Details, sondern nur Wände und Dächer und meist schon mit ihrem charakteristischen Giebelumriss. Damit ließen sich anstatt eines Hauses in mehreren Tagen mehrere Häuser in einer Stunde bauen. Mit dieser Methode gelang es mir, den Bereich des erwähnten ersten Bauabschnitts schon zum größten Teil mit Baukörpern zu füllen und einige Straße wie Fisch- und Alfstraße gar komplett zu schließen, so dass nun komplette Straßenräume erlebbar wurden.
Im weiteren Verlauf weitete ich die Rohbaumethode auf einen immer größeren Bereich aus und stellte damit die komplette 2km lange Travefront sowie den Burgbereich im Norden und den Dombereich samt Mühlendamm ganz im Süden der Altstadtinsel fertig. Weitere schon fortgeschrittene Bereiche sind die Plätze Koberg und Klingenberg sowie das Katharinenkloster und die Dröge am jenseitigen Traveufer.
Aktuell bin ich nun wieder mehr dazu übergegangen, Fassaden im Detail zu bauen - momentan verstärkt am Markt.
Ich werde nach und nach über den weiteren Fortschritt berichten.
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